Die Sage vom kalten Birnbaum

Nahe der Haltestelle Rabenschwandt bei Straßwalchen, zwischen Damlingerhof und Moosleiten, steht am höchsten Punkt des sogenannten Hochfeldes ein alter, verwitterter Baum. Gespenstisch reckt er seine kahlen Äste gleich hilfeheischenden Armen gen Himmel. Von Ost und West, von Süd und Nord brausen dort die Winde heran, und diese Stelle gilt als der kälteste Teil des ganzen Flachgaues.

In alten Zeiten stand dort ein stattlicher Bauernhof inmitten saftiger Wiesen und fruchtbarer Äcker. Scheunen und Keller waren gefüllt mit Feldfrüchten, die Stallungen waren voll mit Vieh, Kammern und Truhen bargen wertvolle Schätze. Stolz schaute der reiche Hof ins Land hinaus. Der Bauer aber war ein schrecklicher Geizhals! Nie sah man ihn lachen, und jeden Armen, der um ein Almosen anhielt, ließ er durch seine zwei riesigen, schwarzen Hunde verjagen.

Oft konnte man ihn am Abend durch das Fenster beobachten, wie er mit habgierig verzerrtem Gesicht sein Gold zählte. Weit im Umkreis sprach man vom „Goldbauern“, der sich dem Teufel verschrieben habe.

Es war im Herbst, da klopfte es am Tor des Hofes. Eine hohlwangige, abgehärmte Frau stand draußen, an der Hand führte sie einen abgemagerten, blassen Knaben. Flehentlich ersuchte sie um Arbeit. Der Bauer aber wies sie schimpfend ab. Da bat die Frau um Christi Barmherzigkeit willen nur um ein Stücklein Brot. Auch das gönnte man ihr nicht! Der Bauerwies den beiden die Türe und drohte mit seinen schwarzen Hunden.

Wankend entfernte sich die Frau mit ihrem Knaben, und der Geizhals sah ihnen höhnisch durch das Fenster nach. Als sie aber an seinem Birnbaum voreikamen, bückte sich der Knabe um eine Birne, da der Baum voll reifer Früchte hing. Darüber geriet der Bauer in Wut. Er riss den Ochsenziemer von der Wand und stürzte hinaus und ihm folgten seine wilden, schwarzen Hunde.

Doch plötzlich beginnen die blutgierigen Bestien zu winseln und sich am Boden zu winden; sie können keinen Schritt mehr voran. Dem Bauern aber gefriert vor Entsetzen das Blut in den Adern. Vor ihm stehen hochaufgerichtet Frau und Kind. Wie Blitze schie0t es aus den leuchtenden Augen der hohen Frau und sie spricht: „Ich bin die Fee vom Koglerberg. Schon lange schaue ich auf dein steinhartes Herz. Einmal noch wollte ich dir die Hand zur Rettung reichen, doch du hast sie von dir gestoßen. Sieh, nun musst du dafür büßen. Das – dein stolzer Hof – er ist nicht mehr! Du aber, Elender, du bleibst hier für immer an Stelle deines Birnbaumes stehen, und die Kälte deines harten Herzens soll für alle Zeiten in diesen Boden dringen!“

Die Fee verschwand, der Bauer aber steht seit dieser Zeit da als verkrüppelter Birnbaum und reckt seine mageren Hände gegen den windumbrausten Himmel.

Wenn in den Raunächten ein Sonntagskind am „Kalten Birnbaum“ vorübergeht, dann sieht es die beiden schwarzen Hunde ihren Herrn umschleichen, und durch den alten, knorrigen Baum zieht dann ein leises Wimmern und Klagen. Wer aber von den kleinen, bitteren Früchten des Baumes isst, dessen Herz wird steinhart und eiskalt wie das des Bauern von Hochfeld.